Fragen und (hoffentlich) Antworten

Im Vorhinein möchte ich anmerken, dass ich in diesem Blogeintrag immer wieder auf die Labels „Weiße“, „Coloured“ und „Schwarze“ zurückgreifen werde, obwohl ich denke, dass diese sehr in Frage gestellt werden sollten. Aufgrund von Folgen der Apartheid gibt es in Südafrika aber immer noch viele Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen und es ist schwer, diese ohne die oben genannten Labels zu beschreiben.

Vor kurzem hat mir ein anderer Freiwilliger von der VEM ein paar Fragen zu meinem letzten Blogeintrag gestellt und ich habe mich 1. sehr gefreut, dass wirklich jemand meine Blogeinträge liest und sich damit beschäftigt und 2. ist es schön Rückmeldung zu hören, was vielleicht nicht ganz so verständlich war und was ich etwas mehr erklären muss beim nächsten Mal. Ich denke, die Fragen, die er mir gestellt hat, sind auch anderen aufgefallen. Daher möchte ich sie einfach mal in diesem Blogeintrag beantworten.

  1. Im letzten Blogeintrag meintest du, dass du die Situation in Lavender Hill immer noch nicht richtig einschätzen kannst. Warum denkst du so selbst nach acht Monaten dort und wie hast du die Situation bisher erlebt?

In Lavender Hill gibt es verschiedene Gangs, die sich rivalisieren. Das heißt es kann immer mal wieder zu Schusswechseln oder dem Werfen mit Steinen kommen. Man muss also in Lavender Hill immer vorsichtig sein und sich vor allem nachts nicht dort aufhalten. Die Gangs bieten eine vermeintliche Sicherheit durch den Zusammenschluss der Menschen. Allerdings kann ein Fehltritt des Einzelnen schnell auf andere Gangmitglieder geschoben werden, sodass diese Sicherheit nur vorgespielt ist. Viele treten einer Gang bei, da sie keine andere Einkommensquelle haben oder sie tun es aus Gruppenzwang (letzteres betrifft eher Jugendliche).

Da es immer zu Ausschreitungen kommen kann, dürfen wir in Lavender Hill nur mit dem Auto oder zusammen mit einem Mitarbeiter unterwegs sein. Selbst zu einem anderen Haus der NWF, das nur 200m entfernt, darf ich nicht allein laufen. Das heißt, dass wir mit den Kindern und Mitarbeitern nichts in unserer Freizeit unternehmen können, außer wir werden direkt von einem Kollegen eingeladen. Das passiert auch hin und wieder mal oder wir holen jemanden ab, um woanders etwas Schönes zu unternehmen. Wenn wir eingeladen werden, sind wir meist in größeren Gruppen unterwegs, weil es eine große Aktion ist. Dabei sehen wir öfter auch Kinder vom Aftercare, die auf uns zu kommen (was mich immer total freut 😊), aber wir erleben die Situation der Bewohner nicht wirklich, die meist eher in kleinen Gruppen durch Lavender Hill gehen und nicht nur mal eben ein paar Stunden für ein Event dort sind.

Ansonsten sind wir gar nicht eingeschränkt (das kann man auch in meinem Blog sehen), da wir das Auto haben. Es ist halt nur sehr schade, dass wir aufgrund der Sicherheitslage kaum Kontakt in der Freizeit zu den Menschen haben, mit denen wir arbeiten, um deren Leben, Bräuche und Essen besser kennenzulernen. Dafür mache ich ja unter anderem diesen Freiwilligendienst.

Apropos Sicherheitslage: Seit dem 1. Blogeintrag habe ich gar nicht mehr darüber gesprochen, obwohl sich so viel verändert hat. Zuerst einmal ist es schon seit einiger Zeit relativ ruhig, mit dem ein oder anderen Zwischenfall mal. Seit unserem ersten Tag bei der NWF haben wir auch keine Schüsse mehr gehört (die fanden wenn dann eher abends statt) und die Gangs haben kaum Streitigkeiten mehr. Meine Wahrnehmung hat sich auch sehr verändert. Wir bekommen ja immer noch erzählt was so abläuft in Lavender Hill und man denkt sich zwar noch „wow, krass“, aber es ist nicht mehr so schockierend wie zu Anfang. Genau das schockiert mich allerdings, wenn ich daran denke, an wie viel man sich doch gewöhnen kann und an wie viel sich schon die Bewohner gewöhnt haben (z.B. schon mal einen erschossenen Menschen gesehen zu haben. Die werden nämlich nicht immer direkt abgeholt und dann kann schon mal ein Kind vorbeilaufen.)

Bei der ersten Frage kann man aber auch auf Kapstadt und Südafrika generell Bezug nehmen. Dazu muss ich sagen, dass ich bei beiden nicht wirklich eine Ahnung habe. Kapstadt ist sehr groß und klar habe ich schon so einiges gesehen. Das waren aber trotzdem eher die reichen und touristischen Gegenden, da man in die anderen Stadtteile nicht unbedingt gehen sollte, wenn man dort keinen kennt. So habe ich z.B. auch noch kein Gebiet mit überwiegend schwarzer Bevölkerung gesehen, was – so wie mir erzählt wurde – große Unterschiede zu einem Gebiet mit überwiegend coloured Bevölkerung (wie zum Beispiel Lavender Hill) aufweist. Bei ganz Südafrika möchte ich gar nicht erst anfangen. Das Land ist so vielfältig, sodass man schon auf den ersten Blick Unterschiede bei den großen Städten und erst recht bei den Dörfern bemerkt. Das fängt schon bei der Landschaft an: Kapstadt ist wenig grün und sehr trocken, im Norden findet man sehr viel Steppe und im Osten ist es super grün und bepflanzt. Das habe ich auf meinen ganzen Busfahrten durch das Land entdeckt (ich befinde mich übrigens grade wieder auf einer). Ich finde einfach, dass man in acht Monaten in einem anderen Land zwar viel erfährt, aber noch lange nicht die gesamte Situation einschätzen kann.

  1. Du hattest von der Pride erzählt, die sowas wie der Christopher Street Day ist. Inwieweit wird denn die LGBTIQ+ Community in Kapstadt von der Bevölkerung akzeptiert?

Zuerst einmal ist die LGBTIQ+ Community in Kapstadt sehr groß. Es gibt verschiedene support groups (Gruppen zur Unterstützung), Clubs für die Community oder Veranstaltungen wie die Pride oder die Kührung von King und Queen eines Stadtteils nachdem sie auf dem Catwalk verschiedene Outfits gezeigt haben. Bei einem Treffen einer support group und der Wahl des Königs und der Königin eines benachbarten Stadtteils (wir konnten leider nicht bei der Veranstaltung in Lavender Hill sein) durften wir auch mal dabei sein. Da mein Mitbewohner Jan schwul ist, haben wir auch schnell die ganzen Veranstaltungen mitbekommen und durften einige Leute der Community kennenlernen.
Die LGBTIQ+ Community wird auch durch die südafrikanischen Gesetze gefördert, die beispielsweise schon seit mehreren Jahren gleichgeschlechtliche Ehen erlauben.
Trotz der ganzen positiven Dinge gibt es immer noch viele Probleme. Von einigen habe ich mitbekommen, dass die Familien die Nachricht sehr gut aufgenommen haben und sie unterstützen, aber in vielen coloured und schwarzen Gebieten wird es wohl noch nicht richtig akzeptiert. So gibt es ein Schimpfwort auf Afrikaans für Jungen, die sich anziehen und benehmen wie ein Mädchen, das noch oft verwendet wird. (Auch Jan hat von den Kindern schon gesagt bekommen, dass man so als Junge ja nicht sitzen kann oder die Haare viel zu lang seien, weswegen er aussähe wie ein Mädchen.)
Mit solchen Problemen haben also noch einige zu kämpfen.

  1. Du warst ja mal auf einem Campus bei der Universität. Wie hast du es erlebt mit dem Verhältnis schwarz und weiß dort aber auch generell?

Bevor ich diese Frage beantworte möchte ich einen kleinen Abstecher in die Geschichte Südafrikas und vor allem Kapstadts machen.

In dem Gebiet Kapstadts lebten früher die zwei Völker Khoikhoi und San. Erst 1488 wurde das Kap vom Portugiesen Dias entdeckt und umsegelt, da er eine Seeroute nach Indien finden wollte. Er nannte es schon damals „Cabo de Boa Esperanca“ oder das Kap der Guten Hoffnung. 1562 landete der Niederländer Jan van Riebeeck an der Küste Kapstadts. Er war im Auftrag der Dutch East India Company (VOC) gekommen, um eine Verpflegungsstation für niederländische Schiffe auf dem Weg Richtung Osten aufzubauen. Dabei beanspruchte er Land von den dortigen Völkern, da er die mündlichen Übereinkommen dieser nicht akzeptierte. So kam es schon vier Jahre später zu den ersten Auseinandersetzungen, da die Khoikhoi und San in weniger fruchtbare Regionen vertrieben wurden. In den nächsten Jahren entstanden nun auch immer mehr Kolonien in ganz Südafrika. Bis 1795 war die Kapregion unter niederländischer Regierung, aber es kam zu mehreren Auseinandersetzungen mit den Briten, die schließlich 1814 die Regierung erlangten. 1872 wurde der Region dann eine eigene Regierung zugesprochen. Südafrika kämpfte auch in beiden Weltkriegen für die Alliierten. Allerdings war das Land gespalten, denn die Buren (ursprünglichen Niederländer) waren beispielsweise gegen die Unterstützung der Briten (es gab auch sonst viele Auseinandersetzungen zwischen z.B. Zulu, Buren, Briten. Falls ihr noch mehr erfahren wollt, dürft ihr mich gern fragen). Zwischen der Vereinigung 1910 und der Wahl des Parlaments 1948 wuchs Südafrika zu einer mächtigen Industrienation. Die National Party gewann ihre erste Wahl in diesem Jahr, was den Beginn der Apartheidszeit markiert. Ab diesem Zeitpunkt wurden viele Gesetze wie der group areas act (Bevölkerung wurde nach Hautfarbe aufgeteilt und in verschiedene Gebiete einsortiert, sodass es nicht mehr zu einer Mischung kommen konnte) oder job reservation clause (Schwarze durften nur noch wenige, schlecht bezahlte Jobs haben) verabschiedet. Allerdings gab es schon lange vorher die Wurzeln der Apartheids-Ideologie. Sie wurde nur dann erst manifestiert. Durch die Apartheid sank das Wirtschaftswachstum stark und viele Länder belegten Südafrika mit Sanktionen, sodass viele Arbeiter in andere Länder zogen und das Wissen mit sich nahmen. 1976 fanden dann Schüler- und Studentenbewegungen und Streiks gegen das Apartheids-Regime statt. Diese wurden immer wieder auch mit Gewalt bekämpft. Offiziell endete diese Zeit dann mit der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten 1994, der sich sehr stark für ein geeintes Südafrika einsetzte.

Nun aber zu der eigentlichen Frage: Bei der Universität habe ich bisher ein relativ ausgeglichenes Verhältnis von schwarzen und weißen erlebt. So ganz genau kann ich es aber nicht sagen, da ich mich nur in bestimmten Kreisen dort aufhalte. In meinem Volleyballteam sind zum Beispiel überwiegend Weiße und im Basketballteam überwiegend Coloured oder Schwarze zu finden. Man muss die Anzahl von Schwarzen und Weißen aber auch definitiv in Relation zur Gesamtbevölkerung setzen und in Südafrika sind (…). Also sind von den vielen Farbigen doch relativ wenige an einer Universität. Man muss dazu sagen, dass die Studienkosten hier auch extrem teuer sind. So kann man für ein Jahr locker 2.000€ hier lassen allein für die Studiengebühren. Viele sind also auf Stipendien angewiesen. Deshalb gehen zum Beispiel die Jugendlichen aus Lavender Hill eher zu einem College.

Generell sieht man auch noch viele Unterschiede der Bevölkerungsgruppen. In Kapstadt ist es so weit ich beurteilen kann sogar am offensichtlichsten. Zum Beispiel sieht man in einer Mall viele Weiße einkaufen oder etwas bestellen und die Angestellten sind meist Coloured oder Schwarze. Natürlich kann man das nicht komplett verallgemeinern, aber es fällt einem doch immer mal wieder auf. Die Stadtteile sind immer noch sehr aufgeteilt. So sieht man wenige Weiße und Schwarze in einem Coloured Gebiet und genau das gleiche gilt für die anderen Gebiete. Es findet also auf den ersten Blick wenig Austausch und kaum Aufeinanderzugehen statt (Achtung, sehr verallgemeinert!)

Die Ursachen liegen schon bei den grundlegenden Dingen. Ich kann es nur an dem Beispiel von Lavender Hill veranschaulichen. Es fängt bei der Wohnsituation an: Die meisten Wohnungen gehören den Menschen gar nicht selbst, sondern der Regierung, die die Menschen unter der Apartheid dorthin geschickt hat. Seitdem wurde auch kaum bis nichts an diesen Wohnungen und Reihenhäusern verändert. Das heißt der Zustand ist nicht gerade gut und eigentlich sind die Vermieter dafür zuständig grundlegende Reparaturen (wie ein veraltetes Dach) zu reparieren. Die Bewohner selbst haben für so große Arbeiten gar nicht die finanziellen Möglichkeiten. Eine Mitarbeiterin hat es ganz gut einmal beschrieben: Die Wohnsituation beim Aufwachsen definiert unter anderem wo das Kind später stehen wird und bei der gegeben Situation ist es kein Wunder, dass viele Kinder keine großen Ziele haben.

Weiter geht es bei den Schulen. Es gibt zwar drei Grundschulen in Lavender Hill aber nur eine weiterführende Schule, also viel zu wenig Platz für die ganzen Kinder. Außerdem wird in der Community sehr viel Wert darauf gelegt, das Matric (vergleichbar mit dem Abitur) zu bekommen. Was aber passiert danach? Darauf haben viele keine Antwort, denn Informationen dazu gibt es nur wenig und viele Arbeitsplätze oder Colleges sind weit weg, sodass es wiederum ein Problem ist, dorthin zu kommen. Viele kommen aus diesem Kreis also nicht heraus.

Es gibt natürlich auch positive Beispiele wie ein Teilnehmer des Aftercares, der an einer Akademie war und jetzt für ein Jahr an einem Gericht arbeiten darf und somit schon etwas Berufserfahrung bekommt.

Auch die NWF versucht Möglichkeiten zu geben aus diesem Kreis zu brechen und eine Arbeit zu finden. Das beginnt sehr klein beim Aftercare, wo wir den Jugendlichen verschiedene Möglichkeiten und Perspektiven zeigen wollen. Es geht weiter mit einem Informationszentrum, wo einem geholfen wird, einen Lebenslauf zu schreiben und das richtige College oder Arbeit zu finden. Letztendlich gibt es auch noch Job Readiness Trainings (Vorbereitung auf die Arbeit), wo zum Beispiel ein Bewerbungsgespräch simuliert wird. Leider erreichen solche Möglichkeiten aber immer noch viel zu wenig Menschen.

  1. Warum gibt es das Load Shedding? Hast du dazu mehr Informationen?

Load Shedding ist etwas anderes als Stromausfall. Es ist eine geregelte Abschaltung des Stroms des Stromanbieters Eskom. Das ist ein Unternehmen, das den Strom in Südafrika transportiert und verteilt. Es gibt verschiedene Stufen des Load Sheddings, die zeigen wie oft am Tag der Strom zu einer bestimmten Uhrzeit für jeweils zwei Stunden abgestellt wird.

Der Strombedarf ist sehr ungleichmäßig, da zu manchen Zeiten mehr Strom verbraucht wird und es ein immer stärkeres Wachstum an Verbrauchern gibt. Auch das Stromsystem an sich ist schon etwas veraltet und wegen dem hohen Bedarf ausgelastet. Es gibt Load Shedding, damit das Energieversorgungsnetz vor einem totalen Stromausfall bewahrt wird. Bei einem lokalen Stromausfall sind die Folgen nicht allzu schlimm. Wenn aber das Energieversorgungsnetz im ganzen Land ausfällt, kann es nicht so schnell wieder gestartet werden. Viele Länder können zum Starten das Stromsystem eines Nachbarn benutzen, aber Südafrika kann das nicht tun und muss es Stück für Stück wiederaufbauen. Das kann dann bis zu zwei Wochen dauern und die Folgen wären fatal.

Das Load Shedding vor ein paar Wochen war aber nicht aufgrund eines erhöhten Konsums von Elektrizität, sondern wegen Eskoms niedriger Stromerzeugungskapazität. Das Stromnetz ist unter Druck, weil ein veraltetes Kohle-Lager Silo in Majuba zusammengebrochen ist. Zusätzlich werden die Wasser und Dieselreserven immer weniger, die für die Gasturbinen gebraucht werden zur grundliegenden Stromproduktion. Die Stromproduktion war viel zu gering, weswegen es zu Load Shedding kam. Auch in den nächsten Jahren kann es immer wieder zu Load Shedding kommen, da die Lieferung zweier südafrikanischer Kraftwerke viel zu verspätet ist und sie das Stromnetz aufgrund ihres Alters nicht stabilisieren können. Hoffentlich wird es in zwei bis drei Jahren dann aber besser, weil die beiden wieder Strom liefern können und es außerdem viele neue Strominvestoren in Südafrika geben soll, die Eskom Alternativen bieten können.

P.S.: Wie auch bisher möchte ich hervorheben, dass alles was ich beschrieben habe aus meiner subjektiven Perspektive heraus geschehen ist und keineswegs verallgemeinert werden kann.

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